Schweizer Sagen – Heute: Der Schwarze Tod in Goms

Ein schlauer Bauer überlistet den Tod und muss dafür bezahlen.

In alten Zeiten wuchs in Goms noch Wein, das Getreide reifte früh im Jahr und die Bäume hingen voller Früchte. In einem Jahr allerdings fiel die Ernte schlecht aus. Starke Regenfälle und Hagel hatten vor allem den Weintrauben zugesetzt. Aus den Früchten, die verschont worden waren, gab es nur  sauren Wein.

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Ein reicher Bauer, der den Verlust verkraften konnte, war schon dabei, den sauren Wein wegzuschütten, da tat es ihm doch leid das Fass einfach in den Boden zu leeren. Er nahm sich vor, den Rebensaft dem nächsten zu verschenken, den er antraf. Es ergab sich aber, dass viele Tage lang kein Gast auf seinem Hof einkehrte.

Da schulterte der Bauer das Fass und ging auf die Suche nach einer durstigen Kehle, die geschmacklich nicht allzu heikel war. Nach einer Weile sah er einen klapprigen Pilger seines Weges ziehen. “Der ist bestimmt durstig”, dachte der Bauer und lud den Pilgersmann zum Trunk ein.

Bevor er das Fass öffnete, fragte er ihn jedoch, wer er sei. “Ich bin der Herrgott”, antwortete das Männlein. Da wurde der Bauer zornig. “Wenn du der Herrgott bist, bin ich der Kaiser von Buxtehude und den gibt es gar nicht, schrie er dem Hageren entgegen. “Schau bloss, dass du Land gewinnst.”

Zerknirscht zog der alte Herr weiter. Er war wirklich der Herrgott und um eine weitere Enttäuschung mit den Menschen reicher. Der Bauer aber nahm erst einmal einen tiefen Schluck aus dem Fass, was sein Gemüt rasch zügelte, und schwor sich, nur noch auf einen Menschen zu warten. Käme keiner, würde er das Fass endlich ausleeren.

Es dauerte gar nicht lang, da erschien ein weiteres altes Männlein auf dem Weg. Der Bauer fragte nicht lange nach, sondern lud den Wanderer gleich zum Trunke ein, den dieser bereitwillig annahm. Nachdem das Fass zwischen den beiden hin und her gewechselt war, nahm es den Bauern doch wunder, welch trinkfreudigen Gesellen er da getroffen hatte.

“Ich bin der Tod”, sagt der verwitterte Alte mit keckem Blick. “Ich bin hier, um deinen Nachbarn zu holen, der im Sterben liegt. Es mag der reichlich genossene Wein gewesen sein oder die Überzeugungskraft, mit der sein Gegenüber die Aussage gemacht hatte, dem Bauer schien, er habe tatsächlich Gevatter Tod vor sich und müsse vorsichtig sein, dass er anstelle des kranken Nachbarn nicht ihn selbst mit sich nähme.

Deswegen prostete er ihm fleissig zu, nahm jeweils nur einen ganz kleinen Schluck und beobachtete zufrieden, wie der Tod sich mächtig das Horn füllte.

Als die Augen des Todes schon ganz feucht waren und er erheblich zu lallen begann, sagte er, er müsse nun aufbrechen, um den Nachbarn zu holen. «Der liegt aber ganz allein in seiner Stube. Die Türen sind verschlossen, weil sonst niemand daheim ist», sagte der Bauer. “Das stört mich doch nicht”, erwiderte der Tod, “es gibt keine Ritze, durch die ich nicht hindurch käme.”

Da wusste der Bauer auf einmal, wie er den lästigen Gast loswerden konnte. “Durch jede Öffnung könnt Ihr schlüpfen? Aber doch wohl kaum durch das Spundloch dieses Fasses”, sagte er. “Ohne Weiteres. Ich will es dir beweisen”, sagte der Tod, stand schwankend auf und fuhr schnell wie der Wind in das Weinfass.

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Der Bauer drückte sofort den Stöpsel ins Loch, lachte sich eins und schulterte das Fass für den Rückweg. Daheim angekommen, legte er das Fass in den Keller, in einen Raum, der sonst nie genutzt wurde, und verschloss die Tür.

Es verging Jahr um Jahr. Der Bauer hatte das Fass und den Tod darin längst vergessen. Er war alt geworden, älter und noch älter. Und nicht nur er. Es starb überhaupt niemand mehr. Generation für Generation füllte die Stuben. In den Familien und zwischen den Familien waren Streitigkeiten an der Tagesordnung. Der Platz wurde immer enger, die Nahrung knapp.

Der alte Bauer hatte schon lang keine Freude mehr am Leben. Immer häufiger schleppte er sich in den Keller in sein Weinlager, um wenigstens ein Vergnügen im Leben zu haben. Die Bestände leerten sich rasch und irgendwann fand er nur noch ein über und über mit Spinnweben übersätes Fass.

Es war das Fass des Todes. Dieser flog, sobald der Bauer den Stöpsel gelockert hatte, heraus und würgte den Bauern auf der Stelle zu Tode. Und nicht nur ihn. Er holte alles nach, was er in der verlorenen Zeit im Fass nicht geschafft hatte. Es gab bald keinen Hof, der nicht betroffen war. Die Menschen konnten sich das plötzliche Sterben nicht erklären und suchten ihr Heil in der Flucht.

In kurzer Zeit entvölkerten sich die Hänge, die Alpen verwilderten, die Bäume verwitterten. Seitdem wächst auch kein Wein mehr im Goms.

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